Leipzig erscheint meinen Träumen und Ahndungen, wie der rosigte Morgen jenseits den waldigen Hügeln. In meinem Leben erinnere ich mich keiner so innigen  prophetischen Gewissheit, wie diese ist, daß ich in Leipzig glücklich seyn werde.

Schiller in Leipzig

Die sensationelle Aufführung der „Räuber“ am 13. Januar 1782 hatte den zweiundzwanzigjährigen Dichter Friedrich Schiller in ganz Deutschland berühmt gemacht, aber auch zugleich beim seinem Landesherrn Karl Eugen unbeliebt. Weniger die 14 Tage Arrest wegen unerlaubten Entfernens, als das Verbot seines Fürsten, weiterhin andere als medizinische Schriften zu verfassen, veranlasste den Dichter zur Flucht.

Nach einem längeren Aufenthalt in Bauerbach, wo sich Schiller unter den Namen Dr. Ritter versteckte, gelangte er am 1.September 1783 nach Mannheim. Dort trat er eine auf ein Jahr befristete Stelle als Theaterdichter am dortigen Nationaltheater an. Der Vertrag verpflichtete ihn, drei Schauspiele auf die Bühne zu bringen. Dies konnte der unmittelbar nach Vertragsabschluss am kalten Fieber Erkrankte nicht erfüllen. Er konnte monatelang nicht arbeiten und so verschlechterte sich auch seine wirtschaftliche Lage dramatisch. Die Aufführung seines Fiesko zu Genua im Januar 1784 war ein derartiger Misserfolg, sodass das Stück schnell abgesetzt wurde. Luise Millerin (durch den Schauspieler Iffland in „Kabale und Liebe“ umbenannt) erhielt dagegen bei der Premiere am 15. April 1784 unerwartet stürmischen Beifall. Doch mit seinem dritten Stück, den „Don Carlos“, kam Schiller nicht über den ersten Akt hinaus, welchen er in seiner Rheinischen Thalia veröffentlichte. Schiller versuchte, mit diesen Zeitschriftenprojekt aus seinen Schulden zu kommen, was ihm aber nicht gelang. Zudem musste er in Mannheim weiterhin fürchten, ins Württembergische abgeschoben zu werden, was für ihn als Deserteur lebensgefährlich war.

Doch seine Werke zeigten Wirkung und er erhielt ein angenehmes Feedback von unbekannten Verehrern aus Leipzig. Vier junge Leute aus Leipzig, begeisterte Anhänger seiner Dichtungen, schickten ihm einen Brief und Geschenke. Wie sehr Schiller von dieser Geste der Verehrung ergriffen war, schreibt er an Henriette von Wolzogen am 26.5.1784: „Vor einigen Tagen widerfährt mir die herrlichste Ueberraschung von der Welt. Ich bekomme Paquete aus Leipzig, und finde von 4 ganz fremden Personen Briefe, voll Wärme und Leidenschaft für mich und meine Schriften. Zwei Frauenzimmer, sehr schöne Gesichter, waren darunter. Die eine hatte mir eine kostbare Brieftasche gestikt, die gewiß an Geschmak und Kunst eine der schönsten ist, die man sehen kann. Die andere hatte sich und die 3 andern Personen gezeichnet, und alle Zeichner in Mannheim wundern sich über die Kunst. Ein dritter hatte ein Lied aus meinen Räubern in Musik gesezt, um etwas zu thun, das mir angenehm wäre. Sehen Sie meine Beste – so kommen zuweilen ganz unverhofte Freuden für Ihren Freund, die desto schäzbarer sind, weil freier Wille, und eine reine, von jeder Nebenabsicht reine Empfindung und Simpathie der Seelen die Erfinderin ist. So ein Geschenk von ganz unbekannten Händen – durch nichts als die bloße reinste Achtung hervorgebracht – aus keinem andern Grund, als mir für einige vergnügte Stunden, die man bei Lesung meiner Produkte genoß, erkenntlich zu seyn – ein solches Geschenk ist mir größere Belonung, als der laute Zusammeruf der Welt, die einzige süße Entschädigung für tausend trübe Minuten. – Und wenn ich das nun weiter verfolge, und mir denke, daß in der Welt vielleicht mehr solche Zirkel sind, die mich unbekannt lieben, und sich freuen, mich zu kennen, dass vielleicht in 100 und mehr Jahren – wenn auch mein Staub schon lange verweht ist, man mein Andenken seegnet und mir noch im Grabe Tränen und Bewunderung zollt – dann meine Theuerste freue ich mich meines Dichterberufes, und versöne mich mit Gott und meinem oft harten Verhängniß.“

Die Absender dieser Post waren der Jurist und Schriftsteller Christian Gottfried Körner (1756-1831), die beiden Töchter des Kupferstechers Johann Michael Stock (1737-1773), Minna (1762-1843) und Dora (1760-1832) und der Schriftsteller Ludwig Ferdinand Huber (1764-1804). Minna Stock war mit Körner verlobt, ihre Schwester Dora mit Huber. So geschmeichelt Schiller sich auch gefühlt haben mag, verfasste er erst im Dezember 1784 einen Antwortbrief. Diesem folgte postwendend die Einladung nach Leipzig und im Zuge des sich rasant entwickelnden Briefwechsels erfolgte auf Schillers Bitte hin zudem eine Geldsendung zur Begleichung seiner Schulden. Euphorisch schreibt Schiller an Körner am 10. Februar 1785: „Leipzig erscheint meinen Träumen und Ahndungen wie der rosigte Morgen jenseits der waldigen Hügel. In meinem Leben erinnere ich mich keiner so innigen prophetischen Gewißheit, wie diese ist, daß ich in Leipzig glüklich seyn werde.“

Als Schiller, „…zerstört und zerschlagen von einer Reise, die mir ohne Beispiel ist…“, am 17.April 1785 nach neun Tagen Postkutschenfahrt in Leipzig eintraf, bezog er zunächst Quartier im Gasthof „Zum blauen Engel“ in der Petersstraße, um am nächsten Tag im Gasthof „Kleines Joachimstal“ in die Hainstrasse 5 umzuziehen. Dort erinnern heute noch zwei Gedenktafeln auch an spätere Aufenthalte Schillers in diesem Haus. Schiller erlebte nun den Trubel der Ostermesse und das „Gedränge von Verkäufern und Käuffern“. Er fand sich in einer weltstädtischen Atmosphäre wieder, was er in seinem ersten Brief an seinen ehemaligen Verleger Schwan nach Mannheim wie folgt ausdrückt: „Wenn einer in der größeren Welt noch so sehr Neuling wie ich, um die Meßzeit zum ersten Mal nach Leipzig kommt, so ist es, wo nicht verzeichlich, doch wenigstens sehr begreiflich, daß er in den ersten Tagen über den Mannichfaltigkeiten, die durch seinen Kopf gehen, seiner selbst vergißt.“

Die Stadt erlebte nach dem Siebenjährigen Krieg gerade wieder eine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit. Leipzig war mit seinen Messen das Zentrum des Ost- West- Handels und führend auf dem Buchmarkt. Der Leipziger Verlagsbuchhandel übertraf alle Konkurrenz. In größeren Unternehmen waren erstmals Schriftgießerei, Druckerei, Buchbinderei und Buchhandel unter einem Dach vereint. Seit 1766 gab es ein von den Bürgern auf eigene Kosten errichtetes Komödienhaus um Theatergruppen, welche zahlreich die Stadt frequentierten, einen würdigen Rahmen und genügend Kapazitäten für Ihre Aufführungen zu bieten. Im Theater am Ranstädter Tor wurden Schillers Räuber bereits 1782 zweimal gespielt. Mit der 1764 gegründeten Zeichnungs-, Mahlerey- und Architectur- Academie verfügte die Stadt über eine der ersten Kunstschulen Europas. Das 1743 gestiftete Große Concert hatte seit 1781 einen eigenen Konzertsaal im Gewandhaus, in dem regelmäßig donnerstags die noch heute so genannten Gewandhauskonzerte stattfanden.

Ein geistiges Zentrum bildete die Universität Zu den prominenten Studenten zählten die späteren Schriftsteller wie Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803), Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781), Johann Wolfgang Goethe (1749-1832), Jean Paul (1763-1825) und Johann Gottlieb Fichte (1762-1814). Im ersten Drittel des 18.Jahrhunderts hatte man begonnen, die Festungsanlagen um die Stadt abzutragen und Gärten anzulegen. Unter Bürgermeister Carl Wilhelm Müller (1728- 1801) entstand seit den siebziger Jahren ein grüner Ring um die Stadt, die Promenade, ein Park im englischen Stil mit Baumgruppen und kleinen Teichen. Diese Spazierwege dienten, ähnlich wie die Kaffeehäuser und die prächtigen öffentlichen Gärten, reichen Leipziger Bürgern der Geselligkeit. Spazierwege führten in die ländliche Umgebung und zu den umliegenden Dörfern, wo die begüterten Bürger Landhäuser besaßen oder Sommerquartiere mieteten.

Das Dorf Gohlis nordwestlich von Leipzig gelegen war am einfachsten zu erreichen. Allein der halbstündliche Spaziergang durch das Rosental machte es zum beliebtesten Ausflugsort. Das als Goluz bereits 1317 erstmalig urkundlich erwähnte Gohlis wurde 1890 nach Leipzig eingemeindet. Schiller verlebte, vermutlich auf Vermittlung seines Logispartners und neuen Verlegers Georg Joachim Göschen (1752-1828), die Sommerzeit im Hause des Bauern Schneider auf dem Grundstück der heutigen Menckestraße 42. Ausgedehnte Spaziergänge Schillers durch das Rosental und über die Felder sind überliefert. Ob er mit einer der Pleißgondeln gefahren ist, wissen wir nicht, aber das Schiller in den Schenken der Umgebung verkehrte, liegt nahe. Hatte er es doch nicht weit zu romantischen Plätzen wie dem beliebten Freisitz auf der Pleißmühlinsel oder der Wasserschenke. Dass er das Gohliser Schlösschen, dessen Turm er von seinem Kammerfenster aus sehen konnte, besucht hat liegt nahe. Es ist gut möglich, dass Schiller und sein hiesiger Freundeskreis beim damaligen Schlossbesitzer, dem Hofrat Johann Hieronymus Hetzer (1723-1788) verkehrten. Ob er gar die dort vorhandene Kegelbahn benutzt hat, wissen wir nicht. Es ist aber zumindest stark anzunehmen, da das vom Ratsherrn und Kaufmann Caspar Richter 1755/56 erbaute Schloss sich zu dieser Zeit zum „Musenhof am Rosental“ mauserte und mit mehreren Besonderheiten, etwa der berühmten "Bibliotheca Gohlisiana", Besucher anlockte.

Doch auch der Weg ins Theater war nicht weit und so hatte Schiller am 24.Juli sogar die Gelegenheit, sein Stück Kabale und Liebe zu sehen. Die Schauspielerin Sophie Albrecht, welche mit Ihrem Ehemann selbst oft in Gohlis weilte, spielte in dieser Aufführung die Luise und Johann Friedrich Reinecke den Ferdinand. Reinecke wohnte zeitweilig in Gohlis und verbrachte den Hochsommer, ebenso wie die Schwestern Stock, der Schriftsteller Johann Friedrich Jünger (1756-1797), Ludwig Ferdinand Huber und nicht zuletzt der Maler Johann Christian Reinhart (1761- 1847), in unmittelbarer Nachbarschaft zu Schiller.

Am 1. Juli 1785 lernte Schiller endlich Christian Gottfried Körner kennen. Man traf sich in Kahnsdorf um Körners 29.Geburtstag den 2.7. hinein zu feiern und sah sich dann am 7.August zur Hochzeit in Leipzig wieder. Schiller widmete diesen Anlässen jeweils ein Gedicht (Unserm teuren Körner, Hochzeitsgedicht) und schenkt dem Brautpaar zwei urnenförmige Vasen und eine allegorische Dichtung: Vor dem Thron des Zeus entsteht ein Rangstreit zwischen Tugend, Liebe und Freundschaft. Der zum Schlichten angerufene Gott entscheidet schließlich, dass alle drei zusammenwirken sollen, um die Menschen glücklich zu machen. Schiller schreibt in Gohlis ein weiteres Gelegenheitsgedicht: Ein Trinklied auf die heitere abendliche Runde mit dem Titel „An die Freude“. Das später als Ode so berühmte Gedicht entstand ursprünglich als Bundeslied der „Heiligen Fünf“, des Freundeskreises der vier Freunde, die Schiller aus der Mannheimer Misere erlösten. Dieser Text, welchen er in der Thalia veröffentlicht hatte, traf den Geschmack und das Gefühl seiner Zeit und wurde von mehr als einhundert Komponisten bis Ende des 19. Jahrhunderts vertont. Die berühmteste Komposition, stammt von Ludwig van Beethoven, der die ersten beiden Strophen einer späteren Fassung des Gedichtes für den Schlusschor der neunten Sinfonie verwendete und das Lied fortan als „Ode an die Freude“ unsterblich machte.

Schiller arbeitete in Gohlis an seinen Don Carlos (hier noch Dom Karlos) und schrieb Teile des zweiten und dritten Aktes. Zudem beschäftigt er sich mit seinem bereits 1783 vollendeten Schauspiel „Fiesko“ wie er am 6.September an seinen Freund Körner schrieb. In diesem Schreiben berichtet er auch von der Rückkehr der Freunde, welche die Körners ein Stück Richtung Dresden begleitet hatten, und seinen Sturz bei Stötteritz vom Pferd: Er hatte sich die Hand verletzt und auch das sich verschlechternde Wetter sowie die Sehnsucht nach seinem Freund Körner und den anderen Freunden, welche inzwischen wieder in die Stadt zurückgekehrt waren, brachte ihn in eine melancholische Stimmung in welcher er schrieb: „– düstere, feindselige Herbsttage mußten sich mit Eurem Abschiede verschwören, mir den Aufenthalt hier schmerzliche rund schwerer zu machen. Was soll ich denn auch hier? – Ich gehe an den vorigen Tummelpläzen meiner Freude, wie der Reisende an den Ruinen Griechenlands, schwermüthig und still vorüber. Nur das Vergangene macht mir sie theuer. – Ich sehe nichts mehr darin, als das, was sie mir gewesen waren. Die ganze Gegend da herum liegt da wie ein angepuzter Leichnam auf dem Paradebette – die Seele ist dahin.“

Am 11. September 1785 nahm er die Postkutsche nach Dresden wo er als Körners Gast bis zum 20.7.1787 blieb. Schiller kam noch mehrmals nach Leipzig, zum letzten Mal im Jahre 1804 auf der Durchreise nach Potsdam und Berlin. Im August traf er sich hier, aus Bad Lauchstädt kommend, mit seinem Freund Körner. Er hatte gerade um die Hand von Charlotte von Lengefeld (1766-1826) angehalten, die mit ihrer Schwester ebenfalls nach Leipzig kam, um sich mit dem Dichter zu verloben. Am 11. September 1801 wurde Schillers Schauspiel „Die Jungfrau von Orleans“ in Leipzig uraufgeführt. Die dritte Vorstellung am 17.September besuchte Schiller mit seiner Frau und dem achtjährigen Sohn Karl in Begleitung des Ehepaars Körner. Die Zuschauer feierten Schiller begeistert und standen nach der Vorstellung Spalier vom Komödienhaus auf der Rannischen Bastei bis zum Ranstädter Tor.